Eine neue Schatzkarte für Funktionsmaterialien
Das Maßschneidern von anspruchsvollen Materialien ist eines der großen Ziele der Naturwissenschaften. In der Veröffentlichung „Revisiting the Nature of Chemical Bonding in Chalcogenides to Explain and Design their Properties“ beschreiben drei Physiker der RWTH mit Kollegen aus Lüttich, Mailand und Prag nun ihren Ansatz für das Design solcher Funktionsmaterialien.Carl-Friedrich Schön, Jakob Lötfering und Professor Matthias Wuttig vom I. Physikalischen Institut der RWTH Aachen konnten mit ihren Kollegen eine Schatzkarte entwickeln, die unterschiedliche chemische Bindungsmechanismen trennt. Interessanterweise gelingt es mit den von ihnen gewählten Bindungsindikatoren, die aus der Schule bekannten Mechanismen der chemischen Bindung, nämlich die ionische, kovalente und metallische Bindung überzeugend zu trennen. Bemerkenswerterweise zeigen allerdings die von ihnen untersuchten Materialien eine deutlich andere chemische Bindung, die sie als ‚metavalente Bindung’ bezeichnen. Diese Bindung ist für das einzigartige Eigenschaftsportfolio dieser besonderen Chalkogenide (Verbindungen von Sauerstoff, Schwefel, Selen oder Tellur) verantwortlich. Solche Materialien werden unter anderem in der Photovoltaik, also der Umwandlung von Sonnenlicht in elektrische Energie, oder der Umwandlung von Abwärme in elektrische Energie in thermoelektrischen Materialien eingesetzt. Die Schatzkarte erlaubt es nun auch Eigenschaftstrends dieser Materialien zu erklären und vorherzusagen. Damit liefert sie einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur gezielten Gestaltung von Stoffeigenschaften und so zur Entdeckung neuer Hochleistungsmaterialien. Die Arbeit der Aachener Physiker ist in der Hall of Fame Serie der angesehenen Zeitschrift Advanced Materials erschienen.
Abbildung 1: Quantenchemische Schatzkarte: Die Position eines Materials wird durch die Koordinaten „Electrons Transferred (ET)“ und „Electrons Shared (ES)“ definiert. ET bezeichnet dabei die relative Anzahl Elektronen, die bei Ausbildung der Bindung zwischen den Bindungspartnern transferiert wird. Die Anzahl der geteilten Elektronen wird durch ES quantifiziert. Die unterschiedlichen Farben charakterisieren unterschiedliche Klassen von Materialeigenschaften. Ionische Materialien (schwarz) zeichnen sich durch hohe ET Werte und geringe ES Werte aus, und sind dementsprechend in der rechten unteren Ecke der Karte zu finden. Kovalente Materialien (rot) hingegen haben hohe ES Werte und ein relativ niedriges ET, sie sind im oberen Teil der Karte lokalisiert. Die metallische Bindung (blau) definiert sich über delokalisierte Elektronen, entsprechend sind ES und ET klein (links unten auf der Karte). Für die neuartige metavalente Bindung (grün) ist eine Balance aus Lokalisierung und Delokalisierung der Elektronen entscheidend. Entsprechend sind diese Materialien im Zentrum der Karte verortet.